Von der Idee zur klinischen Pilotstudie
Kaltes Plasmagerät zur Periimplantitistherapie
Hintergrund
Die Anzahl der Zahnimplantate und in der Folge die Periimplantitisfälle sind in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen. In Deutschland werden etwa 1 000 000 Implantate pro Jahr eingesetzt. Da die Ätiologie der Periimplantitis der Parodontitis ähnelt, ist die Entfernung des mikrobiellen Biofilms von der exponierten Implantatoberfläche der Eckpfeiler der Periimplantitistherapie. Bei der nicht-chirurgischen Behandlung ist dies durch die raue Implantatoberfläche in Kombination mit Implantatgewinden nicht vorhersehbar möglich. Bei der chirurgischen Behandlung wurden bisher verschiedene Methoden zur Dekontamination der Implantatoberfläche eingesetzt, z. B. Zitronensäure, Chlorhexidin, Luftpulverwasserstrahlgeräte, rotierende oder oszillierende Kunststoff - oder Titanbürsten, Kohlendioxid - oder Diodenlaser oder nur mit einer Kochsalzlösung und/oder Chlorhexidin getränkten Gazetupfer. Bei den mechanischen Methoden wird die Implantatoberfläche meist geschädigt. Luftpulverwasserstrahlgeräte zeigten von allen mechanischen Methoden die beste Reinigungsleistung, aber dennoch blieben selbst bei optimalem Zugang in Laborversuchen bis zu 40 Prozent der freiliegenden Oberfläche unbehandelt4. Hinzu kommt, dass alle derzeit erhältlichen Luftpulverwasserstrahlgeräte von den Herstellern nicht für chirurgische Maßnahmen vorgesehen sind, da sie nicht den entsprechenden Hygienerichtlinien des Robert Koch-Instituts entsprechen. Die raue Implantatoberfläche und die Implantatgewinde bieten den Mikroorganismen „geschützte Bereiche“, die einer herkömmlichen mechanischen Entfernung kaum zugänglich sind. Daher ist die Oberflächendekontamination der entscheidende Schritt in der Entzündungsreduktion und zur Re-Osseointegration. In einer Literaturübersicht wurde keine Methode zur Dekontamination gefunden, die einer anderen bei der Entfernung des Biofilms überlegen war, und keine Methode war in der Lage, ein stabiles klinisches Ergebnis über die Zeit zu erzielen.
Entscheidend für den langfristigen Erhalt des Implantats ist, dass die Entzündung vorhersehbar abklingt und der Knochen nicht weiter zerstört, sondern idealerweise wieder aufgebaut wird. In einer Metaanalyse, die auf vier klinischen Studien mit 105 Patienten basiert, betrug die Verminderung der Sondierungstiefen bei einer Bearbeitung unter Sicht 2,38 mm (95 % KI von 1,86 bis 2,91 mm) während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 22,5 Monaten6. Trotz Dekontamination während einer Lappenoperation kam es bei etwa 30 bis 40 Prozent der gereinigten Implantate während einer dreijährigen Nachbeobachtung zu einem weiteren Fortschreiten der Periimplantitis.
Vor diesem Hintergrund entwickelten wir Geräte, die diese Probleme hoffentlich überwinden können.
Geräteentwicklung
Viele Implantathersteller erzeugen während des Herstellungsprozesses eine chemisch aktive, hydrophile Oberfläche, die die erste Phase der Wundheilung durch eine schnellere Interaktion mit Osteoblasten fördert8 und dadurch zu einer verbesserten und schnelleren Gewebeintegration führt9. Während der Dekontamination des Implantats im Verlauf einer Periimplantitistherapie kann zum einen die mikroraue Struktur beschädigt werden und zum anderen wird keine erneute hydrophile Oberfläche erzeugt, zwei Faktoren, die eine Re-Osseointegration behindern. Um das Problem der unzureichenden Instrumentierung und des Verlusts an Hydrophilie zu überwinden, haben wir eine neue Kombinationstherapie basierend auf einem Wasserstrahlgerät und einem Gerät, das ein kaltes atmosphärisches Plasma erzeugt, entwickelt. Diese beiden Geräte können unserer Meinung nach aufgrund ihrer komplementären Eigenschaften nacheinander zur Oberflächenbehandlung eingesetzt werden.
Für ein im Handel erhältliches Gerät zur Reinigung von Wunden (https://www.medaxis.ch/de.html) stellten wir maßgeschneiderte Düsen und ein Handstück her, das den Zugang in die Mundhöhle und in den knöchernen periimplantären Defekt ermöglicht. Das Wasserstrahlgerät arbeitet mit einem Wasserfluss von 70 ml/min. Das Wasser tritt aus einer Düse seitlich am Ende des Applikators aus, dessen Form einer Parodontalsonde nachempfunden ist (Abbildung 1).
Plasma ist neben fest, flüssig und gasförmig ein weiterer Aggregatzustand der Materie. Es entsteht, wenn ein Gas ionisiert wird. Es verhält sich elektrisch neutral, besteht aus Ionen, Elektronen, Licht im Bereich von Vakuum-Ultraviolett- und Ultraviolett, freien Radikalen und chemisch reaktiven neutralen Teilchen und erzeugt Wärme. Die kurze Lebensdauer dieser Arten ist wünschenswert, da nach Ende der Plasmaexposition somit auch schlagartig die aktiven Teilchen bzw. Strahlung verschwindet. Innerhalb der vorgesehenen Behandlungszeit werden aufgrund der kurzen Einwirkzeit keine potenzielle Schädigung des periimplantären Gewebes verursacht. Plasma ist dosisabhängig antimikrobiell wirksam, es inaktiviert planktonische Bakterien, Hefen und Sporen10 und hydrophilisiert die behandelte Oberfläche. Plasmageräte, die für medizinische Zwecke am oder im Körper auf menschlichem Gewebe eingesetzt werden können, zählt man zu den kalten Plasmen, welche eine Temperatur von weniger als 40 °C aufweisen12. Das in unserer Studie getestete Plasmagerät periINPlas ist ein Argon-betriebenes kaltes Atmosphärendruck-Plasmastrahlgerät (Abbildung 2).
Abbildung 1: Schematische Abbildung des Handstücks mit der speziell für den intraoralen Einsatz geformten Spitze (oben) und Fotografien des Wasserstrahlgeräts (links) und des Wassertrahls aus der für die dentale Anwendung entwickelten Düse, mit der der Biofilm von der Implantatoberfläche entfernt wird (mitte, rechts).
Abbildung 2: Fotografie des Plasmageräts (links) und des Plasmakopfs mit der sichtbaren kalten Flamme (rechts), mit der in rauen Implantatstrukturen verbliebene Mikroorganismen inaktiviert werden und die Titanoberfläche hydrophilisiert wird.
Abbildung 3: Rasterelektronmikroskopische Aufnahmen von zuvor mit Biofilm kontaminierten Titanplättchen nach Behandlung mit einer Titanbürste mit und ohne zusätzlicher Plasmabehandlung, jeweils ohne (linke Seite) oder mit (rechte Seite) nachheriger fünftägiger Kultivierung von osteoblastartigen Zellen.
Abbildung 4: Diagramm der Mittelwerte der ausgezählten Ereignisse für osteoblastische Zellen, Mikroorganismen, Zellreste, Probenkörperoberfläche und undefinierbare Ablagerungen auf rasterelektronmikroskopischen Bildern für die verschiedenen Testgruppen (n = 9 je Testgruppe)
Das Plasmagerät wurde in Zusammenarbeit der Zahnklinik Greifswald, dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie Greifswald (INP) und Dentsply Sirona, Bensheim mit Unterstützung des Ministeriums für Bildung und Forschung entwickelt. Die Zahnklinik Greifwald und das INP arbeiten seit 2008 an der Anwendung von Plasma in der Zahnmedizin.
Versuch
In einer Reihe von In-vitro-Studien zeigten unsere und andere Gruppen, dass kaltes Plasma antimikrobielle Wirkungen aufweist, eine Oberfläche hydrophil macht, sowie Zelladhäsion und Osseointegration in vivo beschleunigt. So zeigten plasmagereinigte Titanoberflächen einen verringerten Wasserkontaktwinkel (gesteigerte Hydrophilie), was zu einer erhöhten Zellanhaftung führte. Viele unserer Versuche zur Beurteilung der Behandlungseffektivität wurden nach demselben Ablauf auf gestrahlten und geätzten Titanplättchen durchgeführt, also auf rauen Implantatoberflächen. Zunächst wurden Bakterien, die aus Zahnfleischtaschen parodontal erkrankter Patienten entnommen wurden, sieben Tage lang auf Titanscheiben kultiviert. Der kultivierte Biofilm wurde dann mit verschiedenen Instrumenten bearbeitet, um diese miteinander zu vergleichen. In der Regel wurden die Plättchen dann wieder für vier bis fünf Tage in einem Nährmedium inkubiert, damit die nicht entfernten Bakterien wieder einen Biofilm bilden und somit als Maß für die Reinigung dienen konnten. Der Reinigungseffekt wurde durch Fluoreszenz-, Rasterelektronenmikroskopie der Plättchenoberfläche oder durch Messung der Trübung des Kulturmediums mit einem Fotospektrometer erfasst. Alternativ untersuchten wir, ob nach der Bearbeitung osteoblastartige Zellen die behandelten Plättchen komplett besiedeln können, also die Oberfläche sauber und zellfreundlich genug für eine Verbindung mit Gewebe ist. Unabhängig von der Versuchsmethode zeigte sich, dass wir nur durch die Kombination von mechanischer Vorbehandlung (Bürste, Airflow, Wasserstrahl) und anschließender Plasmabehandlung sterile Oberflächen erzielen konnten. Ein Beispiel für eine mechanische Behandlung mit einer Bürste und mit anschließender Plasmabehandlung ist in Abbildung 3 an rasterelektronmikroskopischen Bildern für deren Reinigungswirkung und Biokompatibilität (Besiedlung der Oberfläche durch osteoblastartige Zellen) demonstriert. Eine vergleichbare Reinigungswirkung konnte auch für die Kombination von Wasserstrahlen mit Plasma erzielt werden (Abbildung 4). Mit hoher Wahrscheinlichkeit können wir sagen, dass unter optimalen Bedingungen (guter Zugang für Instrumente, keine makroskopischen strukturellen Hindernisse) die Kombinationsbehandlung von Wasserstrahl und Plasma einen Biofilm vollständig entfernt und eine Titan-Oberfläche biokompatibel für eine Re-Osseointegration macht. Vergleichbare Ergebnisse konnten wir auch in der in-vitro Bearbeitung von Implantaten erzielen, wo sowohl der Wasserstrahl als auch die kalte Plasmaflamme die Unterseite der Schraubenwindungen erreichten. Wir untersuchten auch die Sicherheit des kalten Plasmas, da dessen Wirkkomponenten (reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies, elektrisches Feld, VUV und UV-Strahlung) auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnten. Wir bestrahlten 10 bzw. 60 Sekunden lang die Mundschleimhaut von Mäusen monatlich über zwölf Monate, um abzuklären, ob ein krebserzeugendes Risiko insbesondere bei wiederholter Anwendung besteht. Um die Anfälligkeit für Tumorbildung bei Rauchern zu simulieren, erhielten zwei Mäusegruppen zusätzlich dreimal pro Woche entweder ein niedrig- oder hochdosiertes Co-Karzinogen (Dibenzopyren). Die Applikation des Co-Karzinogens soll eine mutmaßliche tumorfördernde Wirkung der Plasmabehandlung unterstützen, die bei einer alleinigen Plasmaapplikation unbemerkt geblieben wäre. Unsere Ergebnisse zeigten, dass eine Plasmaexposition von 10 oder 60 Sekunden ohne Co-Karzinogen kein Plattenepithelkarzinom verursachte. In der Hochdosis- Co-Karzinogen-Gruppe entwickelten die meisten Tiere unabhängig von der Plasma-Exposition Neoplasien15.
Klinische Studie
Auf Grund dieser positiven in-vitro Studienergebnisse und nach positiver Bewertung durch die zuständige Ethikkommission (Bonn, 102/21-MPG, Eudamed-Nr. CIV-21-03-035926) sowie die Genehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, führen wir derzeit eine prospektive, randomisierte, klinische Pilotstudie an vier Testzentren (Greifswald, Kiel, Frankfurt, Bonn) durch, um die Fähigkeit der Gerätekombination (Wasserstrahl und kaltes Plasma) zu testen, die mit Biofilm kontaminierte Implantatoberfläche zu reinigen, Bakterienreste und mikrobielle Reste zu entfernen und die Oberfläche zu hydrophilisieren. Diese Kombinationsbehandlung wird mit einer Dekontamination mit einer Kürette und einem mit Kochsalzlösung getränkten Gazepellet (Kontrolle) verglichen. Die Oberflächenbearbeitung erfolgt unter Sicht, die Gingiva wird im Sinne eines acces flaps abgeklappt. Als Outcome dient uns die Reduktion der Sondierungstiefe nach 180 Tagen. Behandelt werden ausschließlich periimplantäre Defekte mit einer Sondierungstiefe ≥ 6 mm und einem Knochenabbau ≥ 3mm. Die Patienten dürfen nicht rauchen und keine Blutverdünner einnehmen. Weitere Details zur Studie sind im Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS) unter https://www. drks.de/drks_web/ mit der Nummer DRKS00026673 zu finden. In der Zahnklinik Greifswald werden die Behandlungen von der Parodontologie und Oralchirurgie, in Frankfurt von der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie und Implantologie, in Bonn von der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde und in Kiel in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vorgenommen.
Diese klinische Studie wird auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.
Thomas Kocher, Rutger Matthes, Torsten Gerling, Christian Eberhard, Lukasz Jablonowski